Lilian

Die Abmachung ist klar! Am Treffpunkt keine grossen Worte zu verlieren, sondern nur die Schlüssel auszutauschen.
Am Bahnhof Zürich, spricht mich Ursula an. Ich habe keine Ahnung wie sie aussieht. Wir kennen uns noch nicht. Wir sind gleich gross,– fällt mir auf. Eine herzliche Umarmung. „In wenigen Minuten fährt mein Zug“, sagte ich. Wir verabschieden uns.

Eine gute Stunde lang suche ich in Schaffhausen die Villenstrasse 23.
Endlich! Ich betrete das Haus, und sofort werde ich vom grossen Raum verschlungen.
Vorsichtig begrüsse ich den Raum. Hallo ist da jemand?
Ich bin müde und will mich hinlegen auf dem schönen Teppich. Aber ich bin natürlich neugierig.
Da sind Bilder mit Erinnerungen, dort Notizen, der Ausblick, die wilde Natur.
Werde ich beobachtet?
Der Raum ist so schön und voller Leere.
Nicht nur, da schaut eine Kamera zur Decke, dort eine Yogamatte mit kleinen Utensilien.
Innehalten! Da ein Sampler, der nur wartet dass man ihn bedient, – und vieles mehr.
Ich entdecke den grossen Küchentisch, angerichtet mit vielen Erinnerungen. Ein riesiger Stein in der Mitte. Ein Stein der sagt, ich bin ganz da!
Ich spreche mit dem Raum und sage ihm was ich mache, damit diese Stille gebrochen wird. An der Wand entdecke ich etwas „Helles“ mit zwei Augen. Vermutlich über die Jahre vom offenen Feuer gezeichnet. Ich werde beobachtet!
Ich ziehe meinen roten Regenmantel an, die Kapuze über den Kopf und mache fürchterliche Töne.
Ich filme diese Szene. Ein rotes Monster streift durch den Raum.

Endlich setze ich mich entspannt hin und beobachte am Boden die Weite des Raumes – die Decke, die langsam so scheint mir, immer tiefer hängt. Die Aussicht ins Grüne. Der Raum hält mich gefangen. Ich gehe nicht in den Garten!

Drei Stunden sind vergangen seit unserer ersten Begegnung. Es klingelt an der Tür. Ich öffne der Besitzerin das Haus.
Beim Tee tauschen wir uns aus. So vieles !
Wo werden wir wohnen?
Wieso wohnen wir da wo wir wohnen?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Besuch übers Kreuz

9. Juni 2020

ein Projekt von Lilian Frei und Ursula Scherrer

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Ursula

Lilian Frei ruft mich an. Wir möchten uns kennen lernen.
Wir entscheiden, dass wir jeweils der anderen ihr zu Hause besuchen, alleine, gleichzeitig, bevor wir uns weiter austauschen.
Wir treffen uns im HB Zürich. Umarmen uns, tauschen die Schlüssel aus, geben kurze Instruktionen und gehen unsere Wege. Ich gebe Lilian eine rosa Wickenblüte aus dem Garten mit. Sie fährt nach Schaffhausen.

Lilian wohnt im Hotel Krone am Limmatquai im Niederdorf.
Der Receptionist weiss, dass ich kommen werde. Erst schaue ich mir die Lounge an. Ein Mann arbeitet am Computer. Homeoffice im Hotel.
Lilian wohnt im Zimmer 39 im 3. Stock.
Ein winziges Zimmer mit Blick auf die Limmat. Es gibt ein kleines Badezimmer.
Das erste, was mir auffällt sind die farbigen Kleider. Zwei liegen auf der rechten Seite des Doppelbettes. Zwei hängen über Bilderrahmen an der Wand. Es gibt eine Kleiderstange. Kleider hängen an Kleiderbügeln, manche direkt über der Stange.
Zwei Bücher liegen auf der linken Seite des Doppelbettes, sowie eine rosa Polaroidkamera, ein Hut auf dem Kissen, ein Strauss Rosen steht neben dem Bett, einige kleine Fotos befinden sich über dem Bettrand.
Ich habe Lilian ein Sträusschen rosa Wicken mitgebracht. Eingestellt stelle ich sie auf den Fenstersims. Eine Blüte ist abgefallen. Ich lege sie unter den Hut.
Ich wende mich den Büchern zu, was liest Lilian in diesem Zimmer?
In einem liegt eine Broschüre der Zürcher Galerien. Gedankenverloren nehme ich ein rosa Leuchtstift, der da liegt, und markiere die Künstlerinnen, die in diesem Monat in Zürich ausgestellt werden. Dann nehme ich einen Kugelschreiber und markiere die Künstler. Ich zähle. 13 Künstlerinnen. 56 Künstler. Einige Galerien zeigen Künstler der Galerie und es gibt eine Künstlerdatenbank.
Auf dem Bett liegt eine rote Bluse mit weissem Blumenmuster neben einem Kleid mit einem blaugraubraunen Blumenmuster auf einem hellen Grund. Ich lege die rotweisse Bluse auf das Kleid und lass die zwei sich umarmen.
Wenn Lilian im Bett liegt, liegt sie neben den zweien. Und sie sieht die zwei Kleider, die über den Bilderrahmen hängen. Ein gelbes und ein rotes mit weissen Tupfen. Beide mit langen Ärmeln.
Will Lilian die Hotelbilder nicht sehen? Oder will sie die Kleider ansehen? Oder vielleicht versteckt sich eine andere Geschichte dahinter. Oder der Zufall. Dinge fallen sich zu.
Ich hänge das rote Kleid mit den weissen Tupfen vor das gelbe Kleid und lass die zwei Kleider sich umarmen.
An der Kleiderstange hängt eine dunkle Lederjacke neben einem Mantel mit hellem Karomuster. Daneben hängt ein schwarzer Hoodie.
Ich lasse den Mantel sich der Lederjacke zuwenden, der Hoodie umarmt beide zusammen und die Lederjacke steckt ihre Ärmel in die Taschen des Hoodie.

Ich lege die Zürcher Galerien auf das Bett, lege ein Foto von Lilian in Rosa verschleiert, gesichtslos, über die Broschüre. An den unteren Rand lege ich eine Karte mit einer Frau in einem T-Shirt auf dem AHA steht.
Ich mache zwei Polaroid Fotos, eines mit der einen Seite der Broschüre, eines mit der anderen.

Ich fahre zurück nach Schaffhausen und treffe Lilian bei mir zu Hause.
Wir trinken zusammen einen Tee.
Beide haben momentan kein wirkliches zu Hause.
Beide wissen nicht, wo sie in einem Jahr wohnen werden.
Die zwei temporären zu Hause sind grundverschieden.